Wir sind auf der ISS sicher angekommen, haben mit unserer Forschungsarbeit begonnen – und es fühlt sich fantastisch an, wieder hier oben zu sein!
Der Start mit der Soyuz-Rakete war bombastisch, verlief aber dennoch relativ entspannt. Was sich anhört wie ein Widerspruch hat einen sehr einfachen Grund: weil ich wusste, was auf mich zukommt. Vor allem die Stimmung in unserer Mannschaft, mit Sergey und Serena, war super. Zum Beispiel während der Wartezeit während der Drucktests vor dem Start, wenn man als Crew schon im engen Cockpit sitzt: jeder darf sich vorher ein paar Musikstücke wünschen, die dann über Funk gespielt werden. Auf Serenas Liste war auch „Billie Jean“ von Michael Jackson, dazu haben wir aus Spass mit den Händen getanzt, und wir dachten, wir seien unter uns. Genau in diesem Moment aber hat die Bodenkontrolle dann unsere Cockpit-Kamera angeschaltet! Ich bin mir sicher, das hat für den ein oder anderen spontanen Lacher im Kontrollzentrum gesorgt – von unseren Zuschauern im Live-Stream ganz zu schweigen.
Die Showeinlage war zwar nicht geplant, aber sie zeigt eine wichtige Kunst unseres Berufs: Man sollte zwischendurch nicht den Humor verlieren. Ernste Momente gibt es genug.
Auch während des Flugs zur Raumstation liefen die Dinge fast zu glatt. Im Gegensatz zu unserem Training gab es während des richtigen Fluges keinen Augenblick, in dem Sergey und ich als Pilot und Co-Pilot an unsere Grenzen gehen mussten. Was natürlich absolut wuenschenswert ist, kam uns doch ungewohnt ruhig vor. Anders als bei der ersten Mission hatte ich ja das volle Trainingsprogramm absolviert, um die Soyuz selber steuern zu können. Und das war ein tolles Gefühl: zu wissen, ich habe das wirklich unter Kontrolle, ich könnte ein Raumschiff wenn nötig mit meinen eigenen Händen fliegen. Nicht nur im Simulator.
Selbst im Automatikbetrieb muss man das Raumschiff mit unzähligen Eingaben auf dem Konsolenpult kontrollieren. Im Vergleich zum Simulator schaut man im richtigen Raumschiff jedoch immer dreimal, ob man auch wirklich die richtigen Befehle eingibt. Es würde reichen, zwei falsche Knöpfe zu drücken, um das Raumschiff in drei Teile zu sprengen oder die Luft abzulassen – und zwar sofort, ohne ein „Sind Sie wirklich sicher?“. Denn in manchen Situationen, wie beim Notfall-Wiedereintritt, oder im Fall eines Feuers muss man genau das blitzschnell tun, um das Leben der Crew zu retten.
Komplett nutzlos war unser Training unter pausenlosem Bombardement mit Fehlfunktionen übrigens nicht. Bei unserem Anflug zur ISS hat uns, kurz vor einem Schubmanöver, ein Alarmsignal angezeigt, dass ein Triebwerk ausgefallen sei. Dank der sicheren Bauweise der Soyuz-Kapsel ist das jedoch kein Problem: Wir haben den nächsten Schub einfach mit dem Ersatztriebwerk ausgeführt. Letztlich stellte sich aber heraus, dass nur der Sensor falsch ausgelöst hatte. Das muss man im Hinterkopf behalten, damit man beim Andocken an die Station, wenn es wieder zu einem Fehlalarm kommt und man nur Sekunden Zeit hat, nicht falsch reagiert. In solchen Momenten zahlt sich das Training aus: Man muss ständig hellwach sein, ständig agieren, selbst wenn das Raumschiff oft automatisch fliegt. Die erfahrensten Kosmonauten sagen zu Recht: Du musst dem Raumschiff gedanklich „vorausfliegen“.
Die zwei Tage in der Soyuz waren zwar lang, aber ich konnte wider Erwarten relativ gut schlafen, einmal acht und in der nächsten „Nacht“ sogar fast elf Stunden lang – was für ein Luxus verglichen mit den letzten Monaten. Und glücklicherweise wurde mir, wie schon bei meiner ersten Mission, nicht schlecht, obwohl die Kapsel sich während des Anflugs zur ISS ständig dreht. Durch diese zwei eher ruhigen Tage war ich völlig entspannt, als wir an der ISS ankamen: Man hat schon mal was gegessen, war auf der Toilette, hat sich eingewöhnt an das Leben im All.
Als dann die Luke zur Station aufging, fühlte sich das für mich an, wie nach Hause zu kommen: Mit dem Schweben bin ich sofort wieder so gut klar gekommen wie ein Fisch im Wasser. Interessanterweise haben sich meine Füße und Hände sogar unbewusst noch daran „erinnert“, wo Schlaufen und Griffe sind – und haben manchmal, wenn ich um eine Ecke geflogen bin, wie von allein richtig gegriffen. Nur einmal hat’s nicht geklappt: Da wusste mein Körper zwar noch genau, wo ein Handgriff sein musste – nur hatte den irgendjemand seit meiner letzten Mission leider abgeschraubt…
Ich weiss bis heute nicht genau wieso, aber mein Körper scheint für solche fremden Umgebungen einfach ganz gut geschaffen: So, wie ich mich als Kind schon unter Wasser immer sehr wohl gefühlt habe, im freien Fall beim Fallschirmspringen, oder in der Kälte der Antarktis, so fühlt es sich für mich jetzt aus irgendeinem seltsamen Grund völlig natürlich an, zu schweben.
Bei meiner ersten Mission war meine größte Herausforderung in den ersten Wochen, mich in die vielen komplexen Computersysteme und Geräte auf der ISS einzuarbeiten. Auch das aber fühlt sich jetzt für mich an, als ob ich nie weggewesen wäre. Zum Glück: Wir mussten gleich richtig loslegen, schwierige wissenschaftliche Versuche vorbereiten. Und Serena und ich hatten einen komplizierten Außenbordeinsatz von zwei NASA-Kollegen zu betreuen.
Wir haben dabei den Roboterarm gesteuert, und ich musste meinen Kollegen die Raumanzüge anziehen und überprüfen. Beim Anlegen von Helm, Schuhen und Handschuhen kann jeder kleinste Fehler fatal sein, und die Umgebung im freien Weltraum ist nicht gerade lebensfreundlich. Wie ein Schäfer bei Sturm und Nacht war ich erst wieder entspannt, als meine beiden Kollegen wieder sicher zurück in der Station waren.
Ich freue mich sehr auf die vor uns liegenden Monate in diesem fantastischen Labor, mit hunderten von einmaligen wissenschaftlichen Experimenten, die das Leben auf der Erde besser machen werden. Mit meiner Erfahrung kann ich nun zwar meinen neuen Kollegen helfen, sich hier oben einzugewöhnen, aber auch für mich ist die Lernphase noch nicht zu Ende. Denn wenn man in der komplexesten Maschine der Menscheit arbeitet, dann hört man niemals auf, Neues zu lernen.
Und das ist gut so.
Discussion: 20 comments
Thanks for the inside. Love to read it! Keep on going, take care!
Toll, dass ich durch diese tollen Berichte das Gefühl habe ich bin irgendwie mit dabei.
Danke für deine tollen Einblicke und das teilen deiner Gedanken und Erfahrungen. Super Hero Gerst <3
Vielen Dank Alexander für diese doch sehr beeindruckenden Schilderungen der Mission. Ich denke täglich an die ISS und freue mich über alle Berichtetstattungen, Bilder und Impressionen. Alles erdenklich Gute für das ganze Team.
Regina
Danke für diese Inneneinsichten. Wir schauen nach euch, wenn ihr sichtbar seid. Viel Spaß und gutes Gelingen bei eurer Arbeit. Wir hoffen auch weiterhin auf wundervolle, faszinierende Bilder und Einblicke auf Instagram oder Twitter.
Ich habe schon als Kind von der Raumfahrt geträumt. Dank der phänomenalen Bilder, Videos, Experimente, Erklärungen darf ich ein bißchen weiterträumen. Danke!! Manche Filme sind zum weinen schön, ehrfurchtgebietend!
Und bitte weiterhin die Umweltzerstörung thematisieren, auch das ist manchmal zum weinen…
Bin in Gedanken oft bei euch!
Lieber Astro-Alex, ich bin voller Bewunderung für das was du machst. Dein Wissen und dein Vertrauen in die Technik ist meiner Meinung nach etwas ganz besonderes. Deine Worte zu lesen ist für mich einfach einmalig. Vielen Dank dass du dort oben bist, einen super Job machst und immer wieder Zeit findest mich/uns „mitzunehmen“. Danke und alles alles Gute. Gruß von Frank aus Hannover
Es ist immer wieder spannend zu lesen und zu sehen was ihr “ da oben“so alles macht. Bitte berichte weiterhin so spannend. Wenn du über der Nordsee schwebst sag Bescheid und wink mal runter Ich winke dann zurück. Liebe Grüße Andrea
Ich war bislang davon ausgegangen, dass zumindest Dinge wie die Soyus inzwischen so weit ausgereift sind, dass es nicht mehr Regelmäßig zu Fehlfunktionen kommt.
Und hiermit sind meine dringendsten Fragen beantwortet. Vielen Dank!
Freue mich auf die Fortsetzung.
Das ist ein so interessanter Einblick in Ihre Arbeit. Ich freue mich das lesen zu dürfen. Ich wünsche Ihnen, dass alle Aufgaben und die ganze Mission ein Erfolg wird und freue mich auf den nächsten bzw. Weitere Blogeintrage.
…endlich mal ein hochinteressanter Bericht, der anhand persönlicher Eindrücke einfühlsam verdeutlicht, was sich im Detail zwischen dem Start und den ersten Tagen auf der ISS an teils herausfordernden Erlebnissen abspielt: wirklich allerbeste Unterhaltung. Herzlichen Dank für diesen einzigartigen Eindruck!
Vielen Dank für den Bericht. Heute Abend konnte ich die ISS sogar mit bloßem Auge und im lichtverschmutzen Berlin sehen. Ein phantastisches Gefühl.
Cool, dass außer der Arbeit noch Zeit bleibt für solche Projekte wie mit Kraftwerk.
Und für solche Berichte. Mehr davon :)
Stark, die ISS mit bloßem Auge am 24.07. gegen 21:56 nahe Ramstein gesehen zu haben; und das mit unserem Alexander an Bord. Ich warte bis 23:30 um mir das nochmal anzuschauen. Winke mal Alexander!
Auf einem Berg stehen, den Blutmond und den Mars beobachten, während die ISS mit ihrem sichtbaren Überflug dieses Ereignis krönt! Was will man mehr?
Liebe Grüße aus Pforzheim!
Hallo Alexander.
Es gibt im Leben immer wieder Momente, in denen ich absolut hilflos bin. Es ist ein schreckliches Gefühl, aber man kann nichts tun ( wie z.B. beim Krebstod meiner
Schwester).
Aber in diesem Fall muss ich versuchen etwas zu bewegen.
Alexander, bitte rüttel die Menschen wach.
Ich möchte die Abholzung des Regenwaldes stoppen, aber mich kennen nur ein paar Menschen und dich Millionen.
BITTE hilf mir dabei.
Wie wird es meinem Sohn in 50 Jahren auf der Erde gehen?
Ich hoffe, diese Nachricht geht nicht unter.
Gruß, Tanja
When I was reading this I almost felt like i am traveling in space doing all those stuffs you did, surely one hell of an experience that was for you.
Lieber Alex, liebes Team,
danke für Eure Berichte! Damit sind wir ganz nah dran. Darum geht´s mir auch bei meiner Frage: Wie kann ich jemanden oder gar Alex selbst erreichen, in einer Anfrage für ein Foto aus dem All betreffend?
Worum geht´s: Als weltweit größte Primatenschutzorganisation leistet BOS Deutschland e.V. mit seinen Partnern in aller Welt einen wertvollen Beitrag zum Schutz der Orang-Utans (die nur noch in geringer Zahl auf Borneo vorkommen), des Klimas und des Regenwalds. Anlässlich des Welt-Otang-Utan-Tags am 19. August stellen wir uns die Frage: Wie geht es dem indonesischen Regenwald und den Orang-Utans wirklich?
Alex ist der einzige, der uns aktuell diese Frage beantworten kann: mit einem Foto aus dem All. Ist es möglich, trotz der eingeschränkten Zeit und all der Arbeit und Experimente, die an Bord durchgeführt werden müssen, solch ein Foto zu bekommen? Damit könnten wir gemeinsam der Öffentlichkeit zeigen, wie ernst die Situation für unsere nächsten Artverwandten und ihren Lebensraum, den Regenwald, darüber hinaus aber auch für das weltweite Klima ist.
Wir würden uns über eine Antwort sehr freuen, auch wenn wir wissen, dass wir nicht die einzigen mit solch einem Anliegen sind.
Alles Gute, vielen Dank und beste Grüße
Brita von BOS Deutschland e.V.
Herzlichen Glückwunsch Space Station Commander Alex!!!!!
Hab euch gerade gesehen wie ihr zwischen den Wolken drübergehuscht seid.
Danke an alle für alles was ihr leistet, und für die himmlischen Fotos…
Liebe Grüße aus Pforzheim!
Danke für diese wundervolle Reise die ich mit euch machen durfte!
Bis bald auf dem Mond!
Liebe Grüße aus Pforzheim!