Wir sind auf der ISS sicher angekommen, haben mit unserer Forschungsarbeit begonnen – und es fühlt sich fantastisch an, wieder hier oben zu sein!

Der Start mit der Soyuz-Rakete war bombastisch, verlief aber dennoch relativ entspannt. Was sich anhört wie ein Widerspruch hat einen sehr einfachen Grund: weil ich wusste, was auf mich zukommt. Vor allem die Stimmung in unserer Mannschaft, mit Sergey und Serena, war super. Zum Beispiel während der Wartezeit während der Drucktests vor dem Start, wenn man als Crew schon im engen Cockpit sitzt: jeder darf sich vorher ein paar Musikstücke wünschen, die dann über Funk gespielt werden. Auf Serenas Liste war auch „Billie Jean“ von Michael Jackson, dazu haben wir aus Spass mit den Händen getanzt, und wir dachten, wir seien unter uns. Genau in diesem Moment aber hat die Bodenkontrolle dann unsere Cockpit-Kamera angeschaltet! Ich bin mir sicher, das hat für den ein oder anderen spontanen Lacher im Kontrollzentrum gesorgt – von unseren Zuschauern im Live-Stream ganz zu schweigen.

ESA astronaut Alexander Alexander waves farewell to family and friends as he departs the Cosmonaut Hotel to suit-up for the Soyuz launch. Credits: ESA–S. Corvaja.

Die Showeinlage war zwar nicht geplant, aber sie zeigt eine wichtige Kunst unseres Berufs: Man sollte zwischendurch nicht den Humor verlieren. Ernste Momente gibt es genug.

Auch während des Flugs zur Raumstation liefen die Dinge fast zu glatt. Im Gegensatz zu unserem Training gab es während des richtigen Fluges keinen Augenblick, in dem Sergey und ich als Pilot und Co-Pilot an unsere Grenzen gehen mussten. Was natürlich absolut wuenschenswert ist, kam uns doch ungewohnt ruhig vor. Anders als bei der ersten Mission hatte ich ja das volle Trainingsprogramm absolviert, um die Soyuz selber steuern zu können. Und das war ein tolles Gefühl: zu wissen, ich habe das wirklich unter Kontrolle, ich könnte ein Raumschiff wenn nötig mit meinen eigenen Händen fliegen. Nicht nur im Simulator.

Selbst im Automatikbetrieb muss man das Raumschiff mit unzähligen Eingaben auf dem Konsolenpult kontrollieren. Im Vergleich zum Simulator schaut man im richtigen Raumschiff jedoch immer dreimal, ob man auch wirklich die richtigen Befehle eingibt. Es würde reichen, zwei falsche Knöpfe zu drücken, um das Raumschiff in drei Teile zu sprengen oder die Luft abzulassen – und zwar sofort, ohne ein „Sind Sie wirklich sicher?“. Denn in manchen Situationen, wie beim Notfall-Wiedereintritt, oder im Fall eines Feuers muss man genau das blitzschnell tun, um das Leben der Crew zu retten.
Komplett nutzlos war unser Training unter pausenlosem Bombardement mit Fehlfunktionen übrigens nicht. Bei unserem Anflug zur ISS hat uns, kurz vor einem Schubmanöver, ein Alarmsignal angezeigt, dass ein Triebwerk ausgefallen sei. Dank der sicheren Bauweise der Soyuz-Kapsel ist das jedoch kein Problem: Wir haben den nächsten Schub einfach mit dem Ersatztriebwerk ausgeführt. Letztlich stellte sich aber heraus, dass nur der Sensor falsch ausgelöst hatte. Das muss man im Hinterkopf behalten, damit man beim Andocken an die Station, wenn es wieder zu einem Fehlalarm kommt und man nur Sekunden Zeit hat, nicht falsch reagiert. In solchen Momenten zahlt sich das Training aus: Man muss ständig hellwach sein, ständig agieren, selbst wenn das Raumschiff oft automatisch fliegt. Die erfahrensten Kosmonauten sagen zu Recht: Du musst dem Raumschiff gedanklich „vorausfliegen“.

ESA astronaut Alexander Gerst was launched into space alongside NASA astronaut Serena Auñón-Chancellor and Roscosmos commander Sergei Prokopyev in the Soyuz MS-09 spacecraft from Baikonur cosmodrome in Kazakhstan. Credits: ESA – S. Corvaja

Die zwei Tage in der Soyuz waren zwar lang, aber ich konnte wider Erwarten relativ gut schlafen, einmal acht und in der nächsten „Nacht“ sogar fast elf Stunden lang – was für ein Luxus verglichen mit den letzten Monaten. Und glücklicherweise wurde mir, wie schon bei meiner ersten Mission, nicht schlecht, obwohl die Kapsel sich während des Anflugs zur ISS ständig dreht. Durch diese zwei eher ruhigen Tage war ich völlig entspannt, als wir an der ISS ankamen: Man hat schon mal was gegessen, war auf der Toilette, hat sich eingewöhnt an das Leben im All.

Als dann die Luke zur Station aufging, fühlte sich das für mich an, wie nach Hause zu kommen: Mit dem Schweben bin ich sofort wieder so gut klar gekommen wie ein Fisch im Wasser. Interessanterweise haben sich meine Füße und Hände sogar unbewusst noch daran „erinnert“, wo Schlaufen und Griffe sind – und haben manchmal, wenn ich um eine Ecke geflogen bin, wie von allein richtig gegriffen. Nur einmal hat’s nicht geklappt: Da wusste mein Körper zwar noch genau, wo ein Handgriff sein musste – nur hatte den irgendjemand seit meiner letzten Mission leider abgeschraubt…
Ich weiss bis heute nicht genau wieso, aber mein Körper scheint für solche fremden Umgebungen einfach ganz gut geschaffen: So, wie ich mich als Kind schon unter Wasser immer sehr wohl gefühlt habe, im freien Fall beim Fallschirmspringen, oder in der Kälte der Antarktis, so fühlt es sich für mich jetzt aus irgendeinem seltsamen Grund völlig natürlich an, zu schweben.

Bei meiner ersten Mission war meine größte Herausforderung in den ersten Wochen, mich in die vielen komplexen Computersysteme und Geräte auf der ISS einzuarbeiten. Auch das aber fühlt sich jetzt für mich an, als ob ich nie weggewesen wäre. Zum Glück: Wir mussten gleich richtig loslegen, schwierige wissenschaftliche Versuche vorbereiten. Und Serena und ich hatten einen komplizierten Außenbordeinsatz von zwei NASA-Kollegen zu betreuen.

Alexander and Serena after closing the Quest airlock. Credits: NASA

Alexander and Serena after closing the Quest airlock. Credits: NASA

Wir haben dabei den Roboterarm gesteuert, und ich musste meinen Kollegen die Raumanzüge anziehen und überprüfen. Beim Anlegen von Helm, Schuhen und Handschuhen kann jeder kleinste Fehler fatal sein, und die Umgebung im freien Weltraum ist nicht gerade lebensfreundlich. Wie ein Schäfer bei Sturm und Nacht war ich erst wieder entspannt, als meine beiden Kollegen wieder sicher zurück in der Station waren.

Ich freue mich sehr auf die vor uns liegenden Monate in diesem fantastischen Labor, mit hunderten von einmaligen wissenschaftlichen Experimenten, die das Leben auf der Erde besser machen werden. Mit meiner Erfahrung kann ich nun zwar meinen neuen Kollegen helfen, sich hier oben einzugewöhnen, aber auch für mich ist die Lernphase noch nicht zu Ende. Denn wenn man in der komplexesten Maschine der Menscheit arbeitet, dann hört man niemals auf, Neues zu lernen.

Und das ist gut so.