Wir hatten Besuch von der Erde: Der Raumtransporter SpaceX Dragon CRS-15 hat Nachschub an Proviant und vor allem neue wissenschaftliche Experimente zur ISS gebracht – und uns damit auch eine Menge Arbeit beschert.

Die vergangenen Wochen waren noch dichter gepackt als sonst: Ricky und Drew haben die Kapsel mithilfe des Roboterarmes eingefangen, was immer ein heikles Manöver ist und die volle Konzentration verlangt. Dann waren wir mit dem Ausladen beschäftigt. Einige Materialien und Apparaturen mussten sofort gekühlt werden. Und weil der Dragon auch eine ganze Reihe von abgeschlossenen Experimenten wieder zurück zur Erde bringen sollte, mussten wir uns beeilen, dass diese rechtzeitig fertig werden.

ESA astronaut Alexander Gerst installing a new video management unit in the Fluid Science Laboratory. Credit: ESA/NASA

Mehr als 104 Wochenstunden haben wir so zuletzt mit der Forschung verbracht – was nur knapp unter dem Mannschaftsrekord in der ISS-Geschichte liegt! Im Columbus-Modul durfte ich unter anderem das MagVector-Experiment nach einem Umbau in Betrieb nehmen, in dem wir die Ablenkungen von kosmischer Strahlung durch Magnetfelder untersuchen, und im Fluid Science Lab habe ich eine neue Kamera installiert, mit der wir in der Schwerelosigkeit die Dynamik von Schäumen und Granulaten erforschen.

Im US-Labor wiederum züchten wir Algen und Acker-Schmalwand-Pflanzen (Arabidposis), forschen an Krebszellen und haben Weltraum-Beton angemischt: Hier in der Schwerelosigkeit, in der keine störenden Konvektionsflüsse im Material entstehen, kann man besonders reinen Zement und Beton erstellen. Das hilft uns zum einen, die Eigenschaften dieser sehr wichtigen Baustoffe besser einzuschätzen und deren Produktion auf der Erde zu verbessern. Und zum anderen sammeln wir so Erfahrungen, die für uns beim Bau einer Mondstation einmal sehr nützlich sein könnten.

Neben all dieser Forschungsarbeit blieb zum Glück aber auch noch die Zeit für eine ganz besondere Übung, auf die ich mich lange gefreut habe: Serena und ich konnten im Cupola-Modul ausprobieren, mit einem Sextanten nach den Sternen zu navigieren.

Das zu lernen, fand ich als alter Entdecker-Fan extrem cool. Eigentlich ist ein Sextant ja nichts anderes als ein Winkelmesser, mit dem man anhand der Himmelsgestirne die eigene Position bestimmen kann. Das geht nicht nur am Erdboden, sondern auch im All. Auf einer Raumstation mag es vielleicht auf den ersten Blick antiquiert wirken. Aber die „Apollo 13″-Astronauten zum Beispiel wären 1970 nach der Explosion an Bord ihres Raumschiffes ohne eine optische Winkelmessung wohl kaum mehr zur Erde zurückgekommen. Und deshalb wollen NASA und ESA auch zukünftigen Missionen zum Mond oder Mars diese fast 300 Jahre alte Erfindung mitgeben – für den Notfall.

NASA astronaut Serena Auñón-Chancellor mixes concrete. Credit: ESA/NASA-A.Gerst

Das muss sich nun erst einmal weiter bewähren. Also haben wir von der Cupola aus versucht, die Winkel zwischen bestimmten Sternen zu messen. Dabei haben wir schnell gemerkt: Die Planer, die fast jeden Stern am Nachthimmel in- und auswendig kennen, hatten sich mehr um technische Fragen gesorgt – wie das Licht einfällt oder wo man die Fußschlaufen anbringen muss, um eine stabile Beobachtungsposition einzunehmen. Das war aber gar nicht das Problem.

Was sie nicht bedacht hatten: Das Wichtigste, was man hier oben braucht, ist eine genaue Sternenkarte für den geplanten Beobachtungszeitpunkt! Durch die Fenster der ISS sieht man – gerade in einer mondlosen Nacht zum Beispiel – so viele Sterne, dass man sich kaum darin orientieren kann. Die Sternbilder stechen nicht mehr heraus, der Ausschnitt des „Himmels“ ist relativ klein, so dass man selten das gesamte Sternbild sehen kann. Noch dazu rotiert unsere Raumstation mit vier Grad pro Minute um sich selbst, so dass man jeden Stern immer nur für ein paar Minuten sehen kann, bevor er entweder hinter dem Erdhorizont verschwindet oder von einem Teil der ISS-Struktur verdeckt wird. Wir haben´s dann zwar doch ganz gut hinbekommen – aber wir müssen noch weiter am besten Vorgehen feilen.

So ist das ja oft in der Raumfahrt: In der Praxis werden ganz andere Probleme wichtig als die, die man sich vorher genau überlegt hat. Um diese Lücke zu schließen, braucht man Astronauten.

Die Sextanten-Übung ist gleichzeitig auch ein ganz gutes Beispiel dafür, wie wir Raumfahrer mit den Risiken unserer Missionen umgehen: Wir vertrauen auf viele, verschiedene Sicherheitsnetze, entwickeln für möglichst viele Szenarien einen Plan B, C, D, E.

So hatten wir neulich zum Beispiel hier einen Stromausfall, bei dem früh am Morgen einer von acht Solarkanälen durch den ungünstigen Einschlag eines kosmischen Elementarteilchens zusammengebrochen ist. Ein zweiter war wegen des niedrigen Sonnenstand-Winkels schon vorher deaktiviert. Und weil die Stromlast dann auf die anderen Kreisläufe übertragen wurde, ist auch noch ein dritter Kanal kollabiert, bevor das System sich selbst sichern konnte.

ESA astronaut Alexander Gerst uses a sextant on board the International Space Station. Credit: ESA/NASA

Zum Glück waren keine lebenswichtigen Systeme betroffen, wie zum Beispiel das Kühlsystem der Station: Die werden immer von mehreren unabhängigen Solarkanälen gespeist. Aber der Bordalarm hat uns doch ziemlich unsanft aus unseren Schlafkabinen gehauen. Mit der Bodenkontrolle konnten wir uns nicht absprechen, weil wir in einem Funkloch waren. Also mussten wir das Problem zunächst allein angehen.

Da realisiert man: Die ISS ist ein hochkomplexes System, das alleine im lebensfeindlichen Kosmos treibt. Schon ein Stromausfall könnte hier schnell schwere Folgen haben, wenn es nicht so viele Redundanzen zur Sicherheit gäbe.

Man kann sich unsere Raumstation vorstellen wie ein Mobile, das man über ein Kinderbett hängt, mit vielen bunten Figuren dran. Wenn man einen Teil davon wegschneidet, wirkt sich das auch auf den Rest aus: Er läuft Gefahr, aus dem Gleichgewicht zu geraten. Die Kunst ist nun, das System so zu bauen, dass sich Fehlerverkettungen nicht so weit ausbreiten, dass also ein möglichst großer Teil noch stabil bleibt.

NASA astronaut Ricky Arnold. Credit: ESA/NASA-A.Gerst

Die ISS ist in dieser Hinsicht sehr clever konstruiert: Sie kann sich innerhalb von Sekunden selbst wieder ausbalancieren, indem sie unwichtige Teile von der Stromversorgung abschneidet. Um alle wichtigen Bestandteile dann wieder ordentlich einzurichten, wie zum Beispiel die Lebenserhaltungs-, Kühl-, Navigations- und Kommunikationssysteme, müssen jedoch wir Astronauten eingreifen.

Dafür, dass wir in solchen, kritischen Situationen ruhig bleiben und nicht die Übersicht verlieren, haben wir lange trainiert. Denn auf die besondere, ausgesetzte Umgebung hier oben muss man sich einstellen – vor allem mental, ähnlich wie auf einen Fallschirmsprung oder auf einen tiefen Tauchgang unter Wasser oder auf einen monatelangen Forschungsaufenthalt in extremer, polarer Kälte. Unser Körper hält das alles ganz locker aus. Das Entscheidende läuft im Kopf ab.

Was mich an diesen Umgebungen fasziniert, ist nicht die Gefahr, die Isolation, das Adrenalin. Im Gegenteil, ich mag alle drei Dinge nicht besonders. Was mir jedoch gefällt, ist die Möglichkeit, eine solche an sich lebensfeindliche Umgebung zu erobern, zu kontrollieren, zu meistern, sie für uns wissenschaftlich zu nutzen. Und mich am Ende dann darin zu Hause zu fühlen.

Das ist es, was mich auf solchen Expeditionen antreibt – und was so manches Risiko oder Leiden hier oben wettmacht.