Stellen Sie sich vor, Sie leben an einem Ort, an dem es kein oben oder unten gibt, an dem Sie mühelos von einem Raum zum anderen schweben und schwere Gegenstände ganz leicht heben können. Das alles mag zwar idyllisch klingen, aber das Leben an Bord der Internationalen Raumstation stellt auch viele Herausforderungen. Eine davon ist die Anpassung an das Leben auf der Erde, wenn die Astronauten von der ISS zurückkehren.
Sergi Vaquer ist der leitende ESA-Fliegerarzt von Alexander Gersts Horizons-Mission. Als ausgebildeter Notfall- und Intensivmediziner ist er dafür verantwortlich, Alexander Gerst in allen Phasen der Mission körperlich und geistig fit zu halten.
Gemeinsam mit einem Team von Raumfahrtmedizin-Experten der ESA ist er in den folgenden Tagen und Wochen für das medizinische Wohlergehen von Alexander Gerst zuständig. Wir haben ihn gefragt, wie es Alexander Gerst gehen wird, wenn er wieder auf der Erde ist.
Fragen an den Arzt
„Es ist immer anders, aber ich bin stolz darauf zu sagen, dass unsere Astronauten generell in einem sehr guten Zustand zurückkehren“, sagt Sergi Vaquer.
„Ich denke, dass es auf die richtige Vorbereitung ankommt. Die Astronauten nehmen sie sehr ernst und arbeiten hart, um sich körperlich auf eine Mission vorzubereiten. An Bord folgen sie streng den Trainingsprotokollen und trainieren mindestens zwei Stunden am Tag.“
Allerdings wirkt sich das Leben und Arbeiten in der Schwerelosigkeit weiterhin auf den Körper aus, wenn die Astronauten zurück auf der Erde sind. Eine der offensichtlichsten Folgen – wenn auch keine tödliche – sind vestibuläre Störungen. Außerdem unterliegen sie einem höheren Risiko, in Ohnmacht zu fallen. Die liegt daran, dass sie nur schwer ihren Blutdruck regulieren können und mit Herzrhythmusstörungen und Dehydrierung konfrontiert sind.
„Das Gleichgewichts- und Orientierungssystem der Astronauten unterliegt im Weltraum anderen Bedingungen“, erklärt Sergi Vaquer. „Wenn sie also zurückkommen, kann es ihnen ziemlich schwindlig werden, so, als wären sie seekrank. Jede Beschleunigung oder Drehung bewirkt eine völlige Desorientierung des Gehirns. Dies führt zu Übelkeit und einem sehr instabilen Gang.“
Obwohl sich ein Großteil der Symptome innerhalb von 2-3 Tagen nach der Landung einstellen, befinden sich die Mitglieder des medizinischen Teams eines Astronauten in dieser frühen Phase in höchster Alarmbereitschaft. Sie bleiben immer dicht hinter oder neben dem Astronauten, um Stürze aufzufangen, da sich der Astronaut zu diesem Zeitpunkt noch an die Anziehungskraft der Erde gewöhnen muss.
Darüber hinaus leiden Astronauten an Knochen- und Muskelschwäche, die durch eine unzureichende Beanspruchung während der Mission verursacht werden. Sergi Vaquer zufolge können die meisten Astronauten durch die Trainingsprotokolle auf der Station ihre Muskelkapazität dennoch im gewünschten Bereich halten. Es gibt aber auch einige Risiken in Bezug auf Wirbelsäulenverletzungen, denn die Haltemuskulatur, mit denen wir uns 24 Stunden am Tag auf der Erde stabilisieren, werden im Weltraum nicht so stark gebraucht.
Astronauten sind auch aufgrund eines geschwächten Immunsystems anfälliger für Infektionen und Krankheiten.
„Obwohl wir beobachten, dass sich Immunzellen im Weltraum nicht so verhalten, wie sie es sollten, gab es bisher keine schwere Infektion an Bord der Raumstation, so dass ein zellverändertes Verhalten nicht direkt auf den Immunschutz übertragen werden kann“, erklärt Sergi, “ wir müssen dieses Thema noch genauer untersuchen, aber bis wir mehr wissen, treffen wir Vorsichtsmaßnahmen und legen eine Quarantänezeit vor und nach dem Flug fest.“
Der Weg nach Köln
Der menschliche Körper besteht zu 60 Prozent aus Wasser, aber im Weltraum verteilen sich diese Flüssigkeiten neu. Astronauten verlieren auch an Flüssigkeitsvolumen, so dass ein unmittelbarer Fokus für medizinische Experten darin besteht, sicherzustellen, dass Astronauten nach der Landung genügend Flüssigkeit erhalten, um kardiovaskuläre Effekte zu bekämpfen.
Bei Bedarf nehmen sie auch Medikamente gegen Reisekrankheit, bevor sie das medizinische Zelt verlassen.
„Innerhalb von etwa 30-45 Minuten nach den ersten medizinischen Untersuchungen steigen wir in die Hubschrauber und fliegen zurück nach Karaganda, Kasachstan, um die offizielle Begrüßungszeremonie durchzuführen“, sagt Sergi. „Astronauten schlafen normalerweise während dieser Zeit, weil sie sehr müde sind.“
Nach der Zeremonie verabschiedet sich Alexander Gerst von seinem russischen Kollegen Sergej Prokopiev und steigt zusammen mit der Astronautin Serena Auñón-Chancellor in ein NASA-Flugzeug, die mit nach Norwegen fliegt. Unterstützt wird er dabei von der ESA-Fliegerarzt Maybritt Kuypers, der ihn dann, während das Flugzeug am norwegischen Flughafen Bodo nachtankt, an Sergi Vaquer übergeben wird.
„Wir fliegen mit einem Flugzeug nach Köln zurück, das über eine besondere Ausstattung verfügt und in dem wir jemanden versorgen könnten, der möglicherweise medizinische Hilfe benötigt“, sagt Sergi Vaquer. „Ich bin da, um sicherzustellen, dass Alexander alles hat, was er aus medizinischer Sicht braucht. Wir werden währenddessen auch damit beginnen, wissenschaftliche Daten für Forscher zu sammeln und die ersten medizinischen Tests durchzuführen, die nach der Landung anstehen.“
In Köln angekommen, wird Alexander in die Rehabilitations- und Forschungseinrichtung :envihab auf dem Forschungscampus des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt des DLR in Köln neben dem Astronautenzentrum der ESA gebracht. Dort warten einige Tests, eine Blutabnahme, eine vollständige medizinische Untersuchung, ein Elektrokardiogramm (EKG), ein MRT oder Stresstest auf ihn. Damit soll sein Gesundheitszustand genau bestimmt werden.
Er wird hier auch von Familie, Freunden und Kollegen begrüßt und kann wohlverdient eine Pizza genießen, bevor er schließlich schlafen geht (in einem richtigen Bett!) und sich auf die bevorstehende Rehabilitation vorbereitet.
Discussion: no comments