Jetzt wird es ernst: Serena, Sergey und ich werden uns ins Cockpit unserer Soyuz-Kapsel zwängen, und auf der Spitze einer 50 Meter hohen Rakete mit einer Schubkraft von umgerechnet rund 26 Millionen PS ins All starten. Acht Minuten und achtundvierzig Sekunden lang dem Himmel entgegenfliegen, und darüber hinaus, mit der Energie von fünf Kernkraftwerken. Wahnsinn!
Wir haben uns lang darauf vorbereitet: Mehr als 6000 Trainingsstunden liegen nun hinter jedem von uns, viele davon haben wir zu dritt durchstanden. In Simulatoren der ISS und der Soyuz-Kapsel haben wir Hunderte Notfallszenarien durchgespielt. Wir haben zum Beispiel gelernt, wie wir reagieren müssen, wenn plötzlich ein Feuer ausbricht, wenn die Raumstation leckschlägt oder wenn giftige Gase austreten. Wie wir Wunden nähen, die Essenvorräte einteilen, die vielen komplexen Geräte und Prozeduren der Raumstation handhaben.
Durch meine Erfahrungen aus der BlueDot-Mission waren viele Übungen für mich nur Wiederholungen. Aber dafür muss ich jetzt als Kommandant für den zweiten Teil der Horizons-Mission auch mehr Verantwortung übernehmen: Ich musste bereits im Vorfeld den Überblick über das Training des ganzen Teams behalten, die Logistik an Bord mit vorausplanen, Mannschaftsaufgaben zuweisen, eine gute Kommunikation mit der Bodenkontrolle gewährleisten. Das ist wichtig, damit nachher kein Lagerdenken zwischen „uns hier oben auf der Station“ und „denen da unten“ aufkommt. Und dafür hilft es, wenn man vorher auch mal zusammen auf einer Grillparty war: Dann kann man während der Mission selbst viel offener miteinander sprechen und sich in die anderen hineindenken.
An Bord selbst werde ich ebenfalls schauen müssen, dass alles gut läuft. Das heißt aber nicht, dass ich im „Chefsessel“ schwebe und ständig Kommandos gebe. Im Gegenteil: Was im Alltag auf der Station zu tun ist, wissen meine Kollegen ja selbst; und wir haben bereits in der Vorbereitung zusammen mit den Trainern immer wieder geschaut, wie wir die Aufgaben nach den Stärken und Schwächen des Teams am besten verteilen. Eigentlich will ich mich deshalb normalerweise eher etwas zurücknehmen, auf eine gute Stimmung achten, die anderen unterstützen, und ihnen auch ein paar Dinge abnehmen. Und von den täglichen Arbeiten übernehme ich selbstverständlich mindestens genauso viele wie meine Crewmitglieder auch.
Der Kommandant meiner BlueDot-Mission zum Beispiel, Steve Swanson, hatte genau so eine entspannte Art, mit uns umzugehen, dass ich anfangs dachte: Der führt überhaupt nicht. Nach einer Weile aber habe ich gemerkt, wieviel er im Hintergrund mit der Bodenkontrolle koordiniert, damit es uns allen gut geht, uns dass wir nicht überlastet werden. Er hat niemals damit geprahlt. Und das fand ich im Nachhinein so beeindruckend, dass ich diese Haltung auch selber bei unserer Horizons-Mission übernehmen möchte.
Dazu gehört im Alltag auch mal Humor, um eine schwierige Situation zu entspannen. Aber wenn es Konflikte gibt oder gar einen Notfall, dann muss ich umschalten können – und sagen, wo´s langgeht, ganz klar und deutlich. Für Scherze und längere Diskussionen ist dann kein Raum.
Am Anfang unseres Trainings fand ich es gar nicht so einfach, mit dieser neuen Verantwortung klar zu kommen. Aber ich bin hineingewachsen – und habe dabei auch immer wieder gelernt, dass oftmals Entscheidungen eben nicht zu Hundert Prozent richtig zu fällen sind: wenn es schnell gehen muss, die Lage knifflig ist, viele unübersichtliche Probleme zusammenkommen. Dann müssen vielleicht 70 oder 80 Prozent Perfektion ausreichen, um die konkrete Situation zu entschärfen.
Bei einer Veranstaltung in Berlin habe ich einmal den damaligen US-Präsident Barack Obama getroffen und ihn gefragt, wie er eigentlich damit klar kommt, dass man es manchmal mit seinen Entscheidungen niemanden recht machen kann. Und er geantwortet, dass es eigentlich ganz einfach ist, wenn man sich nur vor Augen führt: Wenn die Entscheidung leicht wäre, wäre sie gar nicht auf seinem Schreibtisch gelandet. Er hatte also per Definition fast ausschließlich Entschlüsse zu fassen, von denen sonst niemand wusste, wie man sie eigentlich lösen sollte, und für die es auch gar keine eindeutige Lösung gab.
So in etwa ist es manchmal auch für uns Astronauten, und das finde ich ganz beruhigend: In solchen Situation muss man von sich selbst nicht verlangen, alles zu 100 Prozent korrekt zu machen – weil es diese eine richtige Lösung eben nicht gibt.
Es ist immer ein Abwägen, und allein, das zu wissen, macht die Entscheidung schon leichter. Das Wichtigste ist im Raumschiff und auf der Station, dass man überhaupt eine Entscheidung trifft. Denn wenn man bei einem ernsten Notfall nichts tut im Weltraum, dann stirbt man. Soviel ist sicher.
Und deshalb bereiten wir uns auf diese Situationen so intensiv vor, gehen alle möglichen Komplikationen wieder und wieder durch – bis wir sie wirklich im Schlaf beherrschen.
Und jetzt sind wir bereit: zu 100 Prozent.
Es kann losgehen.
Discussion: 8 comments
Vielen Dank, dass du uns so echt und nah an allem teilhaben lässt. Großartig! Gute Reise! :-)
Einen Guten Start wünsche ich Dir und Deinen Kollegen sowie ein gutes Miteinander oben und unten und immer eine „Handbreit Wasser Wasser unter Kiel“.
Viele Grüsse aus Heidelberg!
Viel Glück und Erfolg!!
toi toi toi!!! Auch ich bin bei Euch. ALLES GUTE!!! glg mk
Lieber Alexander Gerst,
ich wünsche Ihnen, Ihrem Team und Ihrer Mission von Herzen alles Gute. Ich habe Sie einmal in einem Inteview über eine halbe Stunde lang hören dürfen und war tief beeindruckt von Ihrer „Komplettheit“. Ich kann es nicht anders beschreiben. Selten habe ich jemanden gehört der so gesettled war. Sie sind zu meinem Vorbild aufgestiegen.
Ich stehe jetzt 1 Jahr von meinem Ruhestand also ist ein relativ grosser Altersunterschied zwischen uns, umsomehr haben Sie mich beeindruckt.
Alles alles Gute und ich hoffe die 80% korrekten Entscheidungen die Sie treffen, werden immer ausreichen.
Rainer Kobienia
Hallo!
Zu den Entscheidungen als Kommandant.
Bei uns in der Turnhalle des HvK-Gymnasiums in Bochum stand gross der Spruch an der Stirnwand: „Nicht auf das Beste, sondern auf dein Bestes kommt es an“ (Ernst Moritz Arndt 1769-1860) Ich bin kein Anhaenger Arndts, aber der Spruch hat fuer mich nach wie vor Gueltigkeit. Erst die Schwaechen machen den Menschen zum Menschen.
Und auf der 1.Etage zu den Klassenraeumen stand auch gross an der Wand: „per apera ad astra“. (Seneca / Heinrich von Kleist erwähnt in seinem Drama Prinz Friedrich von Homburg oder die Schlacht bei Fehrbellin diesen Spruch. Auch dieser Spruch unseres Heinrich von Kleist Gymnasiums hat mich waehrend meines gesamten Lebens begleitet. Das fiel mir auch spontan beim Lesen des Artikels ein. Dazu gehoert auch mein selbstgewaehltes Leitmotiv:
„Gegen das Fehlschlagen eines Plans gibt es keinen besseren Trost, als auf der Stelle einen neuen zu machen“
Jean Paul (dt. Dichter, Publizist und Pädagoge 1763 – 1825)
So schliesst sich der Kreis, und meine Gedanken wandern weit weg, fast ins Mystische. Ich besuche auch das Bochumer Planetarium, spez. zu Musikveranstaltungen, klassische Musik, Pink Floyd usw. unter dem Sternenhimmel. Vielleicht hoere ich dort auch irgendwann etwas aus der Zusammenstellung von A. Gerst?!
Mit den besten Gruessen und Wuenschen aus Gummersbach fuer das Gelingen der Mission von A bis Z. Das schliesst natuerlich die gesunde Rueckkehr der Beteiligten mit ein.
Werner Labuhn
Hallo Alex, sehr inspirierender Beitrag hinsichtlich Perfektionismus und Teambuilding. Danke! Viel Spass und alles Gute. Nicole
Hallo & welcome back home.
Lieber Alexander Gerst, Kommandant dieser großartigen Mission, herzlich willkommen auf unserem blauen Planeten.
Es ist schön, Dich wieder zu haben –
Danke