Die Crew der Expedition 56/57 neben ihrer Soyus-Kapsel. Foto: Roscosmos

Jetzt wird es ernst: Serena, Sergey und ich werden uns ins Cockpit unserer Soyuz-Kapsel zwängen, und auf der Spitze einer 50 Meter hohen Rakete mit einer Schubkraft von umgerechnet rund 26 Millionen PS ins All starten. Acht Minuten und achtundvierzig Sekunden lang dem Himmel entgegenfliegen, und darüber hinaus, mit der Energie von fünf Kernkraftwerken. Wahnsinn!

Wir haben uns lang darauf vorbereitet: Mehr als 6000 Trainingsstunden liegen nun hinter jedem von uns, viele davon haben wir zu dritt durchstanden. In Simulatoren der ISS und der Soyuz-Kapsel haben wir Hunderte Notfallszenarien durchgespielt. Wir haben zum Beispiel gelernt, wie wir reagieren müssen, wenn plötzlich ein Feuer ausbricht, wenn die Raumstation leckschlägt oder wenn giftige Gase austreten. Wie wir Wunden nähen, die Essenvorräte einteilen, die vielen komplexen Geräte und Prozeduren der Raumstation handhaben.

Training für den Brandfall. Foto: NASA 

Durch meine Erfahrungen aus der BlueDot-Mission waren viele Übungen für mich nur Wiederholungen. Aber dafür muss ich jetzt als Kommandant für den zweiten Teil der Horizons-Mission auch mehr Verantwortung übernehmen: Ich musste bereits im Vorfeld den Überblick über das Training des ganzen Teams behalten, die Logistik an Bord mit vorausplanen, Mannschaftsaufgaben zuweisen, eine gute Kommunikation mit der Bodenkontrolle gewährleisten. Das ist wichtig, damit nachher kein Lagerdenken zwischen „uns hier oben auf der Station“ und „denen da unten“ aufkommt. Und dafür hilft es, wenn man vorher auch mal zusammen auf einer Grillparty war: Dann kann man während der Mission selbst viel offener miteinander sprechen und sich in die anderen hineindenken.

An Bord selbst werde ich ebenfalls schauen müssen, dass alles gut läuft. Das heißt aber nicht, dass ich im „Chefsessel“ schwebe und ständig Kommandos gebe. Im Gegenteil: Was im Alltag auf der Station zu tun ist, wissen meine Kollegen ja selbst; und wir haben bereits in der Vorbereitung zusammen mit den Trainern immer wieder geschaut, wie wir die Aufgaben nach den Stärken und Schwächen des Teams am besten verteilen. Eigentlich will ich mich deshalb normalerweise eher etwas zurücknehmen, auf eine gute Stimmung achten, die anderen unterstützen, und ihnen auch ein paar Dinge abnehmen. Und von den täglichen Arbeiten übernehme ich selbstverständlich mindestens genauso viele wie meine Crewmitglieder auch.

Der Kommandant meiner BlueDot-Mission zum Beispiel, Steve Swanson, hatte genau so eine entspannte Art, mit uns umzugehen, dass ich anfangs dachte: Der führt überhaupt nicht. Nach einer Weile aber habe ich gemerkt, wieviel er im Hintergrund mit der Bodenkontrolle koordiniert, damit es uns allen gut geht, uns dass wir nicht überlastet werden. Er hat niemals damit geprahlt. Und das fand ich im Nachhinein so beeindruckend, dass ich diese Haltung auch selber bei unserer Horizons-Mission übernehmen möchte.

Tonangebende Kommunikation. Foto: NASA 

Dazu gehört im Alltag auch mal Humor, um eine schwierige Situation zu entspannen. Aber wenn es Konflikte gibt oder gar einen Notfall, dann muss ich umschalten können – und sagen, wo´s langgeht, ganz klar und deutlich. Für Scherze und längere Diskussionen ist dann kein Raum.

Am Anfang unseres Trainings fand ich es gar nicht so einfach, mit dieser neuen Verantwortung klar zu kommen. Aber ich bin hineingewachsen – und habe dabei auch immer wieder gelernt, dass oftmals Entscheidungen eben nicht zu Hundert Prozent richtig zu fällen sind: wenn es schnell gehen muss, die Lage knifflig ist, viele unübersichtliche Probleme zusammenkommen. Dann müssen vielleicht 70 oder 80 Prozent Perfektion ausreichen, um die konkrete Situation zu entschärfen.

Bei einer Veranstaltung in Berlin habe ich einmal den damaligen US-Präsident Barack Obama getroffen und ihn gefragt, wie er eigentlich damit klar kommt, dass man es manchmal mit seinen Entscheidungen niemanden recht machen kann. Und er geantwortet, dass es eigentlich ganz einfach ist, wenn man sich nur vor Augen führt: Wenn die Entscheidung leicht wäre, wäre sie gar nicht auf seinem Schreibtisch gelandet. Er hatte also per Definition fast ausschließlich Entschlüsse zu fassen, von denen sonst niemand wusste, wie man sie eigentlich lösen sollte, und für die es auch gar keine eindeutige Lösung gab.

So in etwa ist es manchmal auch für uns Astronauten, und das finde ich ganz beruhigend: In solchen Situation muss man von sich selbst nicht verlangen, alles zu 100 Prozent korrekt zu machen – weil es diese eine richtige Lösung eben nicht gibt.

Es ist immer ein Abwägen, und allein, das zu wissen, macht die Entscheidung schon leichter. Das Wichtigste ist im Raumschiff und auf der Station, dass man überhaupt eine Entscheidung trifft. Denn wenn man bei einem ernsten Notfall nichts tut im Weltraum, dann stirbt man. Soviel ist sicher.

Und deshalb bereiten wir uns auf diese Situationen so intensiv vor, gehen alle möglichen Komplikationen wieder und wieder durch – bis wir sie wirklich im Schlaf beherrschen.

Und jetzt sind wir bereit: zu 100 Prozent.

Es kann losgehen.