Ich kann es noch gar nicht ganz fassen, aber es geht wieder los: Im Juni 2018 werde ich – soweit alles nach Plan läuft – zu meiner zweiten Mission ins All starten. Sie soll wie die erste circa sechs Monate dauern, und in der zweiten Hälfte meiner Mission soll ich als Kommandant die Leitung über die Internationale Raumstation ISS übernehmen. Was für eine Ehre: Die größten Raumfahrtagenturen der Erde vertrauen mir die komplexeste und wertvollste Maschine an, die Menschen jemals gebaut haben!

Allein diese Vorstellung erfüllt mich mit Ehrfurcht. Und zugleich kann ich es kaum erwarten, die Station wiederzusehen, die doch
ein Stück Heimat für mich geworden ist. Ich freue mich auf den Moment, im dem die Luke aufgeht und ich wieder durch diese faszinierende Miniaturwelt der Schwerelosigkeit schweben kann.

ESA Horizons mission logo

Wir, das Missionsteam der Europäischen Weltraumorganisation ESA und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), haben uns entschieden, die neue Mission auf den Namen »Horizons« zu taufen. Damit führen wir den »Blue Dot«-Gedanken fort: Der Blick von außen zurück auf die Erde hat uns bewusst gemacht, wie empfindlich und einzigartig unser Heimatplanet ist. Jetzt wollen wir mehr in die andere Richtung schauen – über unsere bisherigen Horizonte hinaus, nach außen, nach vorn.

Wir Erdenbewohner sind ein Inselvolk, umgeben vom schwarzen Kosmos. Und genau wie auf einer Insel, tun wir gut daran, die Weite unserer Umgebung genauer kennenzulernen und zu verstehen, um zu überleben. Das ist unsere Verantwortung gegenüber den folgenden Generationen. Wenn wir nicht enden wollen wie die Dinosaurier, dann sollten wir besser herausfinden, was für Gefahren uns von da draußen drohen – von Meteoriten zum Beispiel. Und es ist an der Zeit, dass wir die nächsten Schritte der Raumfahrt angehen: eine Langzeitmission zum Mond, eine astronautische Reise zum Mars, vielleicht auch zu anderen Zielen in unserem Sonnensystem.

Es liegt in unserer  Natur als Entdecker, dass sich manche von uns irgendwann von der Heimat aus so weit weg wagen, dass sied as sichere Ufer nicht mehr erkennen können. Dass die Neugier über die Angst siegt. Sonst hätten wir Menschen niemals andere Kontinente erreicht.

Mond und Mars sind die unentdeckten Kontinente unserer Zeit: Sie sind etwa ebenso schwer zu erreichen, wie es die Antarktis zum
Beispiel vor nur etwa einem Jahrhundert war! Erst im Jahr 1911 haben die ersten Menschen am Südpol gestanden. Und heutzutage gibt es in der Antarktis zahlreiche Forschungsstationen – unter anderem weil wir realisiert haben, dass Klimadaten aus dieser fernen Eiswelt entscheidend für das überlebenswichtige Verständnis unseres Klimas sind.

Mondaufgang, fotografiert aus der ISS. Bild: ESA, A. Gerst.

Wir Menschen mussten also wie so oft einen Schritt über den Horizont hinaus wagen, um uns selbst und unsere Heimat besser zu verstehen. Ich bin mir sicher, in nochmals einem Jahrhundert werden wir dasselbe über Forschungsstationen auf dem Mond und dem Mars sagen.

Im Moment sind wir noch zu nah dran, um die Bedeutung der Raumfahrt überhaupt komplett zu begreifen. Ich bin mir jedoch sicher, dass in vielen Jahrtausenden, falls die Menschheit bis dahin überlebt, der Zeitpunkt an dem ein Mensch zum ersten Mal seinen Planeten verlassen hat, so wichtig erscheinen wird wie der erste Fisch, der den Ozean verlassen hat. Ein kritischer Schritt in der Evolution des irdischen Lebens.

Die ISS ist nicht nur ein Labor, auf dem wir Wissenschaft für die Erde betreiben. Sie ist auch ein großartiges Labor, um sich auf Reisen in die Tiefen des Weltraums, in den sogenannten »Deep Space«, vorzubereiten. Wir müssen diese Anstrengungen nun intensivieren, denn die Entwicklungen werden Zeit brauchen, und wie lange die Raumstation noch mit vertretbarem Aufwand betrieben werden kann, ist nicht sicher.

Wir arbeiten nun daran, die Synergien zu verbessern, die sich aus der Zusammenarbeit von Menschen und Robotern dafür ergeben können. Wir optimieren Lebenserhaltungssysteme. Wir bereiten Schutzschilder gegen kosmische Strahlung vor, erforschen die Reaktionen des menschlichen Körpers auf die Effekte der Schwerelosigkeit, entwickeln Programme, um mit den physischen und mentalen Belastungen einer Langzeitmission besser umzugehen.

All das wird uns helfen, bald schon weiter und unabhängiger in den Weltraum hinauszufliegen, das kosmische Meer um uns herum besser zu verstehen, und unsere eigene Welt besser zu beschützen. Was wir dort draußen finden werden, ist völlig unbekannt. Was wir aber auf dem Weg dorthin lernen werden, wird unser Wissen von morgen sein. Und Teil unserer Überlebensstrategie.

 

166 Tage im AllMehr über Alexander Gersts Erfahrungen aus der Blue-Dot-Mission und über seine Vorbereitung auf die neuen Herausforderungen in seinem Buch „166 Tage im All“, jetzt in erweiterter Neuauflage mit einem Ausblick auf die Horizons-Mission.