Reid's last haircut on Earth.

Reid’s last haircut on Earth.

Wie finde ich meine Unterwäsche im richtigen der vielen Tausend Staufächer der Internationalen Raumstation?

Ein positiver Nebeneffekt, den das jahrelange gemeinsame Training für eine Weltraummission hat, ist, dass man einiges von seinen Mitstreitern lernt. Eines der Dinge, die ich von meinem Expeditionskameraden Reid Wiseman, einem erfahrenen Militärpiloten und einer der besten und humorvollsten Wegbegleiter, die man sich für eine Weltraumexpedition nur wünschen kann, unter häufigem Lachen gelernt habe, ist, dass es erstaunlich viele Situationen gibt, in denen 80 Prozent der Lösung völlig ausreichend sind.

So einfach sich dieses Konzept auch anhört, so ist es doch für einen passionierten Wissenschaftler und ehemaligen Berufsperfektionisten wie mich erst einmal unbefriedigend, sich mit weniger als 100 Prozent abzugeben. Nur 80 Prozent der Vorbereitungen bei einer Vulkanexpedition durchzuführen bedeutet nämlich das 100-prozentige Scheitern. Eine vergessene Schraube kann dafür verantwortlich sein, dass die kompletten wissenschaftlichen Daten einer Antarktisexpedition verloren gehen.

Der Schlüssel zum Erfolg bei meinen früheren Expeditionsvorbereitungen war deshalb, mich so perfekt und penibel es geht vorzubereiten, um dann während der Expedition in einen „McGyver“ Modus umzuschalten, um notfalls auch mit Schweizer Taschenmesser, Kaugummi und Klebeband dafür zu Sorgen, dass alle Geräte laufen.

Training emergencies in USA. Credits: NASA

Training emergencies in USA. Credits: NASA

Und natürlich gilt diese Strategie auch für viele Aufgaben auf der Raumstation, zum Beispiel für unsere Notfallreaktionen, die wir an Bord auch perfekt ausführen müssen, wenn wir mitten in der Nacht von einem Feueralarm geweckt werden.

Doch abgesehen von ein paar Schlüsselaufgaben macht erst die „80 Prozent-Sichtweise“
unsere Expedition möglich, denn die Internationale Raumstation ist die komplexeste Maschine, die die Menschheit je gebaut hat. Mehr als 100.000 Menschen haben daran mitgewirkt. Es gibt folglich keinen einzelne Person, die dieses System in seiner Ganzheit im Detail versteht.

Und auch als Astronaut kratzt man selbst nach viereinhalb Jahren intensivem Training für eine Mission zur ISS gerade einmal an der Oberfläche dieses komplexen Systems. Der Rest ist Vertrauen auf ein großartiges Team am Boden, Flexibilität und Intuition. Letztendlich schaffen wir es noch nicht einmal, uns auf die alltäglichen Bedingungen vorzubereiten, die uns im Erdorbit erwarten. Das Beste, das wir erreichen können, ist, wenn man so will, uns optimal darauf vorzubereiten, dass ohnehin alles anders kommt. Die Herausforderung ist, wie so oft, wenn man zu einem Abenteuer aufbricht, ein Sprung ins kalte Wasser.

Dieser Sprung erwartet Reid und mich am 28. Mai 2014. An diesem Tag, wenn alles gut geht, werden wir beide zum ersten Mal erfahren, wie man -wirklich- im Weltraum lebt. Viele der Tätigkeiten, die wir bereits am ersten Tag in der Schwerelosigkeit durchführen müssen, konnte keiner von uns je trainieren: Wie bewegt man sich halbwegs elegant in einem Gestrüpp von Kabeln und zerbrechlichen Geräten ohne ein Oben oder Unten? Was ist die beste Technik, um erfolgreich zur Toilette zu gehen? Wie schläft man am besten in der Schwerelosigkeit? Wie öffnet man eine Tasche mit 200 losen Einzelteilen ohne dass diese sich in der Raumstation verteilen? Wie rasiert man sich nass ohne fließendes Wasser? Und: In welchem der mehreren Tausend Staufächer unserer Raumstation befindet sich meine Unterwäsche (man hat genug dabei, um alle zwei Tage zu wechseln)? Die Antwort ist: Ich weiß es nicht. Noch nicht.

Es lohnt sich also, vor einem Start in den Weltraum vom wohligen „rundum-vorbereitet-Gefühl“ Abschied zu nehmen. Aber mal ehrlich, auf die fehlenden 20 Prozent Unbekanntes freue ich mich sowieso am meisten!

Our Soyuz ready for action tomorrow.

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