Alexander in the real Soyuz

Im Sojus-Raumfahrzeug

Wenn man für eine Weltraummission trainiert, verliert man früher oder später sein Gefühl für Zeiträume. Jedenfalls ist das eine der Beobachtungen, die ich an mir selbst gemacht habe. Es klingt ein wenig bizarr, denn so kommt es mir so vor, als ob die Zeit vor mir (genauer gesagt, die zwischen jetzt und meinem Start im Mai 2014) in rasender Geschwindigkeit verschwindet, während die Vergangenheit (seit meinem Trainingsbeginn im September 2009) um ein vielfaches gedehnt scheint. Die vergangenen 4 Jahre erscheinen mir wie ein halbes Leben.

Viereinhalb Jahre Training für den Raumflug

Viereinhalb Jahre Training für ein halbes Jahr Aufenthalt im Weltraum kommt den meisten Leuten sehr viel vor. Doch wenn man bedenkt, dass neue Astronauten einen komplett neuen Beruf lernen müssen bevor sie in den Weltraum aufbrechen, quasi wie während eines Studiums, so klingt das nicht mehr ganz so lang.

Die ersten 1.5 Jahre meines Trainings, das sogenannte Basistraining am Europäischen Astronautenzentrum der ESA in Köln, habe ich damit verbracht, zusammen mit meinen Kollegen mit unterschiedlichsten beruflichen Hintergründen das Astronauten-Handwerkszeug zu büffeln: wissenschaftliche, Ingenieurwissenschaftliche und medizinische Grundlagen, Orbitalmechanik, Flugzeuge fliegen, Russische Sprache, Überlebenstraining (Sommer, Winter, Ozean) und viel Sport zum Ausgleich.

Direkt nach diesem Basistraining hatte ich das Glück, von der ESA für eine Expedition zur Internationalen Raumstation ausgewählt zu werden, so dass mein Training fast ohne Pause weiter ging, allerdings in einer anderen Gangart: es sollten 2.5 Jahre intensivsten Missionstrainings mit 60-Stunden-Wochen an unterschiedlichsten Orten folgen, von denen ich nur eine handvoll Wochen im Jahr zuhause in Köln verbringen würde.

Zu Zeiten des Space Shuttles dauerte das Missionstraining weniger als ein Jahr, was daran lag, dass jeder Astronaut im Shuttle eine spezielle Funktion hatte, und sich hauptsächlich auf diese vorbereitet hat. Der Pilot des Shuttles musste zum Beispiel keine Weltraumaustiege im Raumanzug machen. Das war möglich, da die Dauer einer Shuttle Mission um 10 Tage herum lag, und somit relativ überschaubar und planbar war. Missionen zur ISS dauern hingegen um die 6 Monate, ohne dass man kurzfristig Materialien oder Astronauten austauschen kann wenn etwas schief läuft.

Auf der ISS: Mädchen für alles

Auf der ISS müssen wir also Mädchen für alles sein, und dafür trainieren wir 2.5 Jahre für jede einzelne Mission. Wir lernen nicht nur, wie man an Bord der Raumstation lebt und in den 4 Labormodulen wissenschaftlich arbeitet, sondern auch wie man auf einer Soyuz Rakete in den Weltraum startet, wie man ein russisches Raumschiff steuert, und wie man damit wieder sicher nach Hause kommt (alle Knöpfe und Anleitungen sind auf Russisch – es reicht auch leider nicht, einfach nur „“Energie!“ zu rufen). Wir bereiten uns viele hundert Stunden lang unter Wasser in einem Raumanzug darauf vor, wie man an im offenen Weltraum an der Außenhülle der ISS Reparaturen durchführt, oder wie man hunderte verschiedene Bordsysteme wartet und repariert. Wir trainieren und wiederholen unzählige Male, was im Falle eines Feuers an Bord oder eines Lecks in der Druckhülle zu tun ist, oder wie man Wunden näht und kleine Operationen durchführt. Kurzum, wir müssen Wissenschaftler, Hausmeister, Pilot, Reinigungskraft, Arzt, Feuerwehrmann, Ingenieur und Versuchskaninchen gleichzeitig sein. Der Weg zu den Sternen ist steinig.

Wie all dies in meinen Kopf passt, kann ich mir selbst nicht erklären. Manchmal kommt es mir so vor, als würde mit jeder neuen Information die ich vorne in mein Gehirn stopfe, hinten etwas herausfallen. Denn kein Mensch (und Astronauten sind ja zum Glück auch nur normale Menschen;) könnte sich wirklich den gesamten Trainingsinhalt merken. Die wahre Kunst des Astronautenberufes ist deshalb, so kommt es mir vor, in kürzester Zeit aus einer Flut von komplexen Informationen die paar wenigen herauszufiltern, die wirklich relevant sind. Diesem Trick habe ich zu verdanken, dass die letzen 4 Jahre die bisher interessantesten meines Lebens waren. Die Region, in der einmal mein Zeitgefühl lag, ist aber vermutlich dennoch von irgend einer russischen Bedienungsanleitung überschrieben worden.